Bei der Konfliktberatung in Organisationen geht es manchmal darum, in sehr verworrenen und weit eskalierten Konflikten zu vermitteln. Die Gründe dafür liegen in der Vielfalt der Konfliktparteien (oft mehr als zwei), einer jahrelangen Geschichte dahinter und der Tatsache, dass der Konflikt die Ziele des Unternehmens massiv beeinträchtigen kann.
Es braucht deshalb eine Herangehensweise, die die Besonderheiten von Konflikten in Organisationen berücksichtigt.
Besonderheiten von Konflikten in Organisationen
1. Entscheidungsträger werden sich auch dann für einen Vermittlungsprozess sowie ggf. eine Konfliktberatung entscheiden, wenn (noch) nicht alle Beteiligten dazu bereit sind.
Bei einer Konfliktberatung sollten Entscheidungsträger bemüht sein, das Einverständnis aller beteiligten Parteien einzuholen und der Prozess der Vermittlung sollte so angelegt sein, dass der Buy-in aller Beteiligten hergestellt wird. Wenn aber die Bereitschaft aller Konfliktparteien anfänglich noch nicht gegeben ist, kann das Unternehmen diese auffordern, sich trotz ihrer Skepsis in den Prozess der Vermittlung einzubringen. Als Konfliktberater arbeitet man dann mit teilweise skeptischen Konfliktparteien, die (noch) nicht bereit sind, alle Informationen auf den Tisch zu legen. Man arbeitet wertschätzend mit allen Parteien, gibt den verschiedenen Perspektiven Raum und erwirbt sich so nach und nach das Vertrauen aller Parteien.
2. Lösungen zweiter Ordnung ermöglichen – nicht bei der Themensammlung und -bearbeitung aufhören
Der Konfliktberater unterstützt die Parteien darin, ihre Themen zu sammeln und zu clustern. Dabei stellen die Konfliktparteien die verschiedenen Perspektiven nebeneinander, und bekommen so ein besseres Verständnis über die Sichtweise der anderen. In der anschließenden Phase der Themenbearbeitung sollte der Konfliktberater die Aufmerksamkeit der Konfliktparteien auch auf das Erkennen der Konfliktdynamik lenken: was passiert hier eigentlich? Wie gelingt es uns, den Konflikt am Laufen zu halten? Dazu ist es hilfreich und erforderlich, dass der Konfliktberater eigene Hypothesen über die Dynamik des Konflikts bildet und diese den Konfliktparteien auch als Hypothesen anbietet. Der Mehrwert des Konfliktberaters besteht hier darin, geübt zu sein in der Einnahme einer Metaperspektive, von der aus die Dynamik erkannt werden kann, und die Beteiligten dazu einzuladen, ebenfalls auf diese Ebene zu gehen. Bleibt er jedoch inhaltlich asketisch, wie das in der klassischen Mediation gefordert wird, kann der Wechsel zur Metaebene oft nicht stattfinden. Man arbeitet dann an Lösungen erster Ordnung, also am Beseitigen von Symptomen.
Für den Konfliktberater ist es entscheidend, Angebote zu machen („Könnte es sein, dass …“, Ich beobachte, dass Sie immer wieder …“ „Meine Hypothese ist, dass zwischen Ihnen folgende Dynamik abläuft …“) und keine Wahrheiten zu verkünden. Angebote und Hypothesen stoßen fast nie auf Widerstand, sondern bieten den Konfliktparteien Diskussionsstoff und eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Konflikt.
Ob die Konfliktparteien den Hypothesen des Konfliktberaters zustimmen oder stattdessen eigene bilden, ist dabei nebensächlich. Der Konfliktberater darf nicht Recht behalten wollen. Es geht vielmehr darum, die Konfliktparteien für eine Diskussion nicht nur der Themen, sondern der Dynamik zu gewinnen. Diese Diskussionen sind die Voraussetzung für Lösungen zweiter Ordnung, also einem Durchbrechen der Konfliktdynamik.
3. Bei einem innerbetrieblichen Konflikt ist es schön für die Parteien, wenn am Ende alle gewinnen. Doch das ist nicht immer möglich.
In einem innerbetrieblichen Konflikt prallen verschiedene Charaktere, Interessen und (informelle) Machtpositionen aufeinander. Häufig haben sich die Stärkeren und Gewiefteren im Laufe der Eskalation eine bessere Position erkämpft, die jedoch nicht unbedingt mit den Zielen der Organisation übereinstimmen muss. Konfliktberatung in einem Unternehmen geht immer auch mit einem Erkennen von Gruppendynamik einher. Wenn aber nun eine bestimmte Gruppendynamik den Konflikt am Laufen hält, wird ein Teil der Lösung darin bestehen, diese Dynamik zu verändern. Das werden Einzelne als persönlichen Verlust empfinden. Das muss nicht so sein, aber es ist wahrscheinlich.
Konfliktberatung bedeutet, die Handlungsmuster Einzelner zu reflektieren
Selten findet man eine Situation vor, in der jemand bewusst und in schädlicher Absicht handelt. Es geht hier also nicht um das Herausarbeiten von persönlicher Schuld. Vielmehr hat jeder Mensch ein Repertoire an Verhaltensmustern, mit dem er durchs Leben geht.
Nicht immer gehen diese Muster konform mit den Zielen einer Gruppe oder einer Organisation. Konfliktberatung bedeutet auch, die Handlungsmuster Einzelner bewusst zu machen und eine Korrektur zu ermöglichen. Das wird der eine als Gewinn erleben (z. B. „zukünftig werde meine Grenzen besser verteidigen“) und der andere als Verlust (z. B. „so wie ich mich bisher hier durchgesetzt habe, wird von anderen nicht mehr akzeptiert. Ich muss mir eine neues Verhalten aneignen“).
Die Erkenntnis, dass jeder immer sein Bestes gibt und jeder nach seinen Möglichkeiten handelt, ist von enormer Bedeutung. Niemand sollte sich am Ende schuldig fühlen, auch wenn er erkannt hat, dass er zukünftig anders handeln sollte. Das Ausrichten auf den gemeinsamen Erfolg und ein konstruktiver Umgang auch mit persönlichen Schwächen oder Fehlern kann helfen, eine breite Akzeptanz für die – hoffentlich gefundene – Lösung zweiter Ordnung zu ermöglichen.
Da ich häufig weit eskalierte Konflikte moderiere, schlagen die Wogen im Laufe der Konfliktberatung manchmal richtig hoch. Wie z. B. bei einem dramatisch zugespitzten Konflikt in der Abteilung eines mittelständischen Unternehmens. Zunächst gab es eine Auftragsklärung mit dem Personalleiter und der Abteilungsleiterin, die in der Situation schon einiges versucht hatte. Gespräche, die geführt, Vereinbarungen, die getroffen wurden, hatten keine Veränderung gebracht. Als interner Dienstleister hatte ihre Abteilung Kunden im ganzen Haus. Deswegen hatte sich der Konflikt auf das ganze Haus ausgeweitet. Alle hätten Probleme mit einem seiner Mitarbeiter. Die Kollegen würden den Mitarbeiter regelrecht umgehen, sowohl im eigenen Team als auch im Unternehmen. Alle wären sich einig: der Kollege sei das Problem, er sei „schwierig“ und zettele ständig Streit an. Nun, als Beraterin bleibt man allparteilich. Wie ist wohl die Perspektive des Mitarbeiters und der Kollegen? Wie würde dieser die Situation schildern? usw.
Im Anschluss an dieses Gespräch berieten sich der Personalleiter und die Führungskraft mit dem Team über nächste Schritte, und kamen darin überein, dass etwas geschehen müsse, dass es eine externe Begleitung geben wird, und dass alle zunächst die Gelegenheit bekommen würden, mit der Konfliktberaterin ein vertrauliches(!) Vier-Augen-Gespräch zu führen.
Nach diesen Gesprächen glaubte ich etwas klarer zu sehen. Alle Mitarbeiter erschienen mir vernünftig, ihre Argumente nachvollziehbar, nur der von allen gemiedene Kollege war auch im Gespräch mit mir „schwierig“, seine Argumentationsketten waren nur schwer nachvollziehbar.
Im Anschluss an dieses Gespräch berieten sich der Personalleiter und die Führungskraft mit dem Team über nächste Schritte, und kamen darin überein, dass etwas geschehen müsse, dass es eine externe Begleitung geben wird, und dass alle zunächst die Gelegenheit bekommen würden, mit der Konfliktberaterin ein vertrauliches(!) Vier-Augen-Gespräch zu führen.
Nach diesen Gesprächen glaubte ich etwas klarer zu sehen. Alle Mitarbeiter erschienen mir vernünftig, ihre Argumente nachvollziehbar, nur der von allen gemiedene Kollege war auch im Gespräch mit mir „schwierig“, seine Argumentationsketten waren nur schwer nachvollziehbar.
Am Ende des Tages saß dann ein Mitglied des Betriebsrats vor mir. Dieser vertritt ja häufig die Interessen von Mitarbeitern in Not, was auch seine Aufgabe ist. Doch er hatte sich wohl die Frage gestellt, wer hier in Not war. Denn er gab mir zu verstehen, dass alle Menschen, die mit diesem einen Mitarbeiter zu tun hatten, einem Leid tun konnten. Jedenfalls sprach auch er sich verhalten skeptisch über ihn aus: „Probleme im ganzen Haus … kein einfacher Charakter … haben schon viel mit ihr erlebt … eine Trennung wäre wohl kein Schaden … „
Was macht man als professionelle Konfliktmanagerin? Allparteilich bleiben, ja. Aber auch seiner Wahrnehmung trauen. Das hieß in dieser Situation: für mich sehr nachvollziehbar, dass jeder sich mit diesem Kollegen schwertat. Fachlich unangreifbar, aber menschlich wirklich herausfordernd. War ich ins System gefallen? Das ist ein beraterischer Fachausdruck für „parteilich geworden“. Eher nicht, denn ich hatte noch nie für dieses Unternehmen gearbeitet. Und auch die Thematik hatte mich persönlich nicht betroffen. Aus vielen Feedbacks zu meiner Person weiß ich: wenn etwas auf mich zutrifft, dann ist es meine Bodenständigkeit und mein „klarer Blick für das Wesentliche“. Ich kann Konfliktdynamiken ganz gut erkennen und das relativ schnell (einzelne Irrtümer nicht ausgeschlossen, z. B., wenn ich persönlich betroffen bin). Und ich bin immer bereit, meinen ersten Eindruck auch wieder zu revidieren.
Aber wenn alles so schnell klar wird, warum wird dann eine Konfliktberatung eingeholt? Warum sehen das die Beteiligten nicht selbst und ziehen die richtigen Schlüsse? Was macht meinen Mehrwert in solchen Situationen aus? Berechtigte Fragen. Hier ein paar Antworten:
- Die Klarheit entsteht erst durch einen strukturierten Analyseprozess, bei den Beteiligten und Entscheidern. Das kann dann sehr schnell gehen, es ist, als wenn zu einem Puzzle ein paar entscheidende Teile hinzugefügt werden. Die Menschen formulieren ihre Gedanken akzentuierter im Rahmen eines strukturierten Prozesses. So entsteht allmählich ein Bild, das für alle Sinn macht
- Die hohe Arbeitsbelastung in den Unternehmen hält den Konflikt lange unter dem Radar. Und wenn er dann erkannt wird, ist er weit eskaliert, er erscheint komplex und undurchsichtig
- Die Bereitschaft, sich früh mit Konflikten auseinanderzusetzen, ist nach wie vor gering. Konflikte sind ein unerwünschter Störfaktor, der lange ignoriert wird. Und die bevorzugte Konfliktmanagement-Strategie, nämlich Streithähne durch Umbesetzung zu trennen, funktioniert nicht mehr: zu spezifisch sind die erforderlichen Kompetenzen und Fähigkeiten für einen Arbeitsplatz. Man kann die Menschen nicht mehr beliebig hin- und herschieben, in der Hoffnung, dass der Konflikt dann gelöst ist
- Manche Konfliktdynamiken sind für die Beteiligten ein Tabu. Z. B., wenn eine Trennung vom Mitarbeiter die Konsequenz wäre. Unternehmen tun sich schwer, an eine Trennung aufgrund eines konfliktauslösenden Verhaltens zu denken
- Als Konfliktberaterin zeige ich den Schaden auf, der durch die aktuelle Situation entsteht, z. B. Demotivation, Fluktuation, hoher Krankenstand. Damit entsteht mehr Motivation fürs Entscheiden
Wie ging es weiter beim Kunden? Was war mein nächster Schritt? Vertraulichkeit wahren und einen Workshop mit Führungskraft und Team planen. Zielsetzung: Klärung und Auflösung des Konflikts. Im Workshop wurde vor allem eines klar: mit diesem Kollegen gab es keine Einigung.
Gegen Ende des Tages, kurz vor einem Agreement, stellte er erneut alles in Frage. Die Kollegen verzweifelten. Ich sagte in die Runde: “Die Situation ist aussichtslos!“ Bevor ich so etwas sage, überlege ich mir das genau. An dieser Stelle passte es und es war genau die richtige Intervention. Alle entspannten sich. Denn wenn die Lage aussichtslos war, wozu sich dann noch anstrengen? Hier mussten andere entscheiden …
Anschließend wurde das Ergebnis an den Personalleiter kommuniziert, und der war nicht begeistert. Ich gab mein Statement ab, so wie ich es mit den Teilnehmern des Workshops vereinbart hatte. Die Ereignisse überstürzten sich, der Kollege meldete sich krank, anschließend führten Personalleiter, Führungskraft und Betriebsrat ein Gespräch mit ihm und dann gab es einen Aufhebungsvertrag. Das Problem war gelöst, Ruhe kehrte ein.
Was ich im Nachhinein erfuhr: der Kollege hatte angedeutet, dass er wegen psychischer Probleme in Behandlung sei. Dadurch wurden die Probleme im Team nachvollziehbar. Und auch die Ratlosigkeit der Führungskraft, denn die Führung von Mitarbeitern mit psychischen Problemen ist ohne professionelle Unterstützung nicht leistbar.
Ich habe selten Lust, ins Theater zu gehen, denn ich habe genügend Dramen und manchmal auch Komödien in meinem Job. Hinzu kommt das Reflektieren: was nehme ich gerade wahr? Wie reagiere ich darauf? Liege ich vielleicht falsch? Übersehe ich etwas? Was ist ein guter nächster Schritt? Wem sollte ich was sagen?
Denn die Richtschnur für mein Handeln sind die Gespräche mit den Beteiligten, meine eigenen Überlegungen, meine Gespräche mit Kollegen und Lehrberatern/Supervisoren. Nach vielen Jahren in der Konfliktberatung bin ich zu einigen Erkenntnissen gekommen.
Mein persönlicher Konfliktmanagement-Almanach
- Als Konfliktberaterin allparteilich sein, steht nicht im Widerspruch zum Stellung nehmen und Einbringen von Beobachtungen. Häufig sind diese Beobachtungen eine der wichtigsten Aspekte in einer Konfliktberatung. Denn bei aller Selbstheilungskraft, Konflikte entstehen auch aufgrund von kollektiven blinden Flecken bei den Beteiligten
- Wenn ich meine Einschätzung sage, habe ich nie den Anspruch, Recht zu haben. Es ist halt meine Einschätzung. Und vielleicht irre ich mich. Dann bin ich jederzeit bereit, diese zu korrigieren. Aber indem ich ein Feedback gebe, entsteht oft ein wertvolles Gespräch. Natürlich muss ich genau überlegen, wann ich was sage und zu wem. Denn als Konfliktberaterin hat mein Wort ein besonderes Gewicht
- Es gibt Konflikte, die von Einzelnen ausgelöst und am Laufen gehalten werden. Frei nach dem Motto: Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Das widerspricht einem systemischen Prinzip, das in etwa Folgendes besagt: Ein System ist definiert durch Kommunikation und Informationsübermittlung. Die einzelnen Teile sind austauschbar. Wenn man in einem System ein Element austauscht, übernimmt ein anderes dessen Funktion. Dieses Prinzip will ich gar nicht widerlegen. Es hat seine Berechtigung. Es gibt aber leider auch dunkle Charaktere (z. B. die sogenannte Dunkle Triade Narzissmus, Machiavellismus, Psychopath), die zerstörerisch wirken. Und wenn man diese aus dem System entfernt, kehrt Ruhe ein
- Eine bedingungslose Zugehörigkeit tut keinem System gut. Wenn jemand pausenlos die Spielregeln konstruktiver Zusammenarbeit verletzt, neurotisch alles auf sich bezieht, zu wenig Leistung erbringt, sollte man über eine Trennung nachdenken. Das ist die beste Lösung für alle, auch für den Betroffenen. Denn der bekommt damit die Chance, sich selbst zu hinterfragen
- Augenhöhe, Bescheidenheit und Humor sind wichtige Haltungen im Konfliktmanagement. Nicht Recht haben wollen. Glücklich sein. Auf die eigene Work-Life-Balance achten und gute, nährende Beziehungen pflegen. Mit den eigenen Emotionen gut in Verbindung sein. Mitgefühl haben mit jedem, auch mit den dunklen Charakteren. Dem Kunden und seinen Interessen verpflichtet sein. Nicht gemocht werden wollen. Jeden Einzelnen wertschätzen, mit allem, dem Leichten, dem Schweren, dem Guten und dem Zerstörerischen.
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